aus "momente des lernens", Hrg. Reinhard Hauff, 1996, anläßlich 30 Jahre Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin

Renée Gundelach: Geld ausgeben ist eine Kunst (1996)

Seit fast dreißig Jahren arbeite ich mit großer Freude auf filmwirtschaftlichem Gebiet, insbesondere in der Filmproduktion, als freiberufliche Produzentin, Herstellungsleiterin und filmökonomische Beraterin. Ich versuche, den Filmemachern, für die ich arbeite, eine gute Partnerin zu sein, mich jeweils auf sie und den Filmstoff einzustellen und ihre Rechte zu vertreten. Das Besondere meiner Tätigkeit ist, daß ich ihnen ihre Rechte am Filmwerk nicht wegnehme, sondern sie vollständig bei ihnen belasse; denn ich will für jeden Filmemacher das für ihn Beste erreichen.
Als ich anfing, dachte ich, daß jeder mich dafür lieben und mir dankbar sein müsse, wenn ich mich so sehr mit dem Filmprojekt identifiziere, mich so für den Film einsetze und meinen Teil der Arbeit erfolgreich ausführe. Und daß sich diese Dankbarkeit auch ausdrücken würde in einer Wertschätzung und Anerkennung meines Engagements. Die Realität war eine andere. Der Filmemacher identifizierte mich eher mit dem Negativen, das er jeweils mit der Arbeit, die ich ausführte, verband: also Steuern, Geld, Richtlinien, d.h. administrative Abrechnung, Begrenzung, Auflagen usw. Durch einen Konflikt lernte ich die verschiedenen Erwartungen zu unterscheiden:
Als die "Linkshändige Frau" 1977 bei Paris gedreht wurde, mußte ich fast alleine den gesamten organisatorischen, wirtschaftlichen, finanziellen und juristischen Teil abdecken, weil Peter Handke möglichst wenig Fremde in seinem Haus um sich haben wollte. Ich war also Produzentin, Aufnahmeleiterin, Kassiererin, Produktionsleiterin und Herstellungsleiterin zugleich. Und als der Film abgedreht war und wir zu einem gemeinsamen Abschlußessen mit Stab und Darstellern im Lokal saßen, ergoß sich die Aggression des Regisseurs über mich. Er warf mir vor, ihm seinen Film, "sein Kind" wegzunehmen. Und ich, stolz auf "meine" Leistung, hatte ein Dankeschön erwartet.
Der "sensible Künstler" und die "harte Produzentin": Wir hatten so unterschiedliche Ausgangspunkte und hatten trotzdem erfolgreich an einem gemeinsamen Film gearbeitet. Und dann so ein Konflikt, unvergessen, aber wirksam.
"Ja, habt Ihr nicht bemerkt, daß eigentlich nur Platz ist für den, der selbst den Platz mitbringt" - diese Worte von Vlado Kristl sind das Schlußzitat der "Linkshändigen Frau" und wurden zu meinem Leitmotiv.
Seit dieser Auseinandersetzung denke ich viel darüber nach, wie mit solchen Gegensätzen umzugehen ist: Kunst und Geld, Erfolg und Budget, mit Geld als psychischer Barriere, Angst der Autorenfilmer vor Steuern und rechtlichen Zwängen, Ablehnung von professionellem Management, und wie ich mich hierauf einstellen kann.
Was ist denn ein Filmprojekt? Ein Produkt der Phantasie, ein immaterielles Gut, das auf seine materielle Verwirklichung wartet. Ich schaffe mit die Bedingungen, dieses Phantasieprodukt in Materie umzusetzen: Ich arbeite als "Übersetzerin", als Bindeglied zwischen vorhandener künstlerischer Vorstellung und finanziellen Ressourcen. Es braucht die Ökonomie, diese Phantasievorstellungen realisieren zu können. Dazu gehören z.B. ein Budget und eine Finanzierung - und dies nicht als Rechenaufgabe.
Mein Schwerpunkt liegt zwar auf ökonomischem Gebiet, mein Erfolg jedoch begründet sich auf meiner kreativen Phantasie, die für Organisation, Vertragsverhandlungen und Finanzierung unabdingbar ist und mir die Freude an der Arbeit erhält. Ich sehe in der Ökonomie eher einen Rahmen, der Widerstände setzt und mich produktiv werden läßt, eben kreativ auf meinem Gebiet.
Die Erarbeitung einer passenden Kalkulation und der dazu gehörenden Finanzierung für das jeweilige Filmprojekt braucht eine bestimmte Art der Phantasie. In mir entstehen bei einer derartigen "Übersetzung" euphorische Gefühle. Hier bringe ich meine Erfahrungen aus über hundert von mir betreuten Filmen ein. Dieser Bereich ist mein kreativer Bereich, und für mich ist Geld ausgeben eine Kunst.

aus "momente des lernens", Hrg. Reinhard Hauff, 1996, anläßlich 30 Jahre Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin


Christoph Schlingensief bei den Dreharbeiten zu
"Die 120 Tage von Bottrop - Der letzte neue deutsche Film" im Jahre 1996